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Marktanalyse: Börse Wien – ein Halbjahresfazit

Alois Wögerbauer

Nach dem schmerzvollen Anlagejahr 2022 brachte das erste Halbjahr 2023 etwas Entspannung. Die Wirtschaft entwickelt sich solider als erwartet, die tiefe Rezession bleibt aus. Die Unternehmensgewinne fielen bis dato auch besser als erwartet aus. Der Zinsgipfel ist nahe und wird wohl bei einem Leitzinsniveau von 4,25 % bis 4,50 % erreicht sein. Auf den Gipfel wird aber wohl eine Plateauphase folgen, die klar in das Jahr 2024 hineinreicht. Es ist klar zu früh, um über Zinssenkungen zu diskutieren. Die Inflation entwickelt sich, wenn auch in langsamen Schritten, zurück, auch wenn Österreich in der Inflationsbekämpfung zurückliegt und hausgemachte Fehler macht. Die Demografie verändert insgesamt aber das Zusammenspiel zwischen Konjunktur und Arbeitsmarkt. Wir sehen eine sich abschwächende Wirtschaft bei weiterhin sehr starken Arbeitsmärkten. Können die Notenbanken die Demografie mit Zinserhöhungen bekämpfen? -  Wohl nein. Die Gefahr, dass die Notenbanken nach oben übertreiben, hat zugenommen. 

Der Kapitalmarkt scheint sein neues faires Niveau zu finden, unabhängig von der aktuellen Notenbankpolitik haben sich etwa Unternehmensanleihen mittlerer Laufzeit bei Renditeniveaus von etwa 4,4 % eingependelt. „There is no alternative“ ist daher Geschichte, es gibt wieder attraktive Alternativen zum Aktienmarkt. Umso bemerkenswerter ist es im globalen Blick, wie gut sich die Aktienmärkte angesichts der mächtige Zinswende gehalten haben. Die sogenannte Aktienrisikoprämie in den USA ist so gering wie lange nicht und faktisch nicht mehr vorhanden. Gerade in den USA war allerdings der Börsenaufschwung getragen von einigen wenigen Titeln aus dem Technologiebereich. Der breite Markt konnte mit dieser Entwicklung nicht mithalten, gleichgewichtete Indizes liegen deutlich hinter den kapitalgewichteten Indizes. Die großen Unternehmen schlagen die kleinen Unternehmen.

Dass in diesem Umfeld die Wiener Börse mit der globalen Entwicklung nicht mithalten kann, ist wenig überraschend. Nicht „Growth“ prägt den Index in Wien, sondern vielmehr „Value“ im Sinne der Branchen Finanz, Energie und Industrie. Gerade wenn der globale Blick nicht auf kleinere Märkte und kleinere Unternehmen gerichtet ist, dann kann der Stratege in Ruhe langfristige Positionen aufbauen. Die Bewertungskennzahlen überzeugen, das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Gewinnerwartungen für die kommenden 12 Monate liegt bei nur etwa 8, die Dividendenrendite liegt im Schnitt bei etwa 5 %. Viele Unternehmen überzeugen mit Langfriststrategie und Managementqualität. ERSTE, Andritz oder Wienerberger seien hier nur beispielhaft angeführt. Wien wird daher immer mehr zu einem Dividendenmarkt. Was noch fehlt ist die Rückkehr der Auslandsinvestoren, ohne diese Käufer ist ein nachhaltiger Börsenaufschwung in Wien nicht möglich.

Der Taktiker weiß, dass die Kurse von heute und morgen rein von der globalen Meldungslage geschrieben werden. Der Stratege weiß aber, dass die Kurse in den kommenden Quartalen und Jahren von den Geschäftsmodellen getragen werden. Der Stratege findet daher aktuell sehr viele attraktive Einstiegskurse und gibt sich der Illusion des perfekten Timings ohnehin nicht hin.


Autor:
Alois Wögerbauer, CIIA
Geschäftsführer der 3 Banken-Generali Investment-Gesellschaft m.b.H.
4. Juli 2023

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